Krisen und Kriege wie der in der Ukraine scheinen diese Karwoche zu überschatten, weil Tyrannen das Leiden anderer egal ist. In seiner Botschaft zu Karfreitag schreibt Präses Dr. Thorsten Latzel, warum wir als evangelische Christinnen und Christen dennoch Jesus feiern, der selbst unter Tyrannen gelitten hat. Lesen Sie die komplette Botschaft hier:
Liebe Geschwister,
auch diese Kar- und Osterwoche findet wieder statt in Zeiten des Krieges: Krieg in der Ukraine, Bürgerkriege in Syrien, im Jemen. Viele gewaltsame Konflikte werden nicht einmal mehr als Kriege deklariert. Doch auch dort werden Völker mit Waffen und Gewalt unterdrückt.
Manche sprachen von einer „Zeitenwende“, einer „anderen Welt“, in der wir vor einem Jahr erwacht sind. Aber diese vermeintliche Ehre steht Putin nicht zu. So wenig wie den vielen Gewaltherrschern vor ihm. Er ist nur ein weiterer Tyrann in der langen Reihe der Geschichte, dem das Leiden anderer egal ist. Auch das der eigenen Bevölkerung.
Diese angeblichen „Herren der Welt“ sind nichts anderes als Knechte des Todes. Ihre Macht gründet auf Angst. Sie herrschen, indem sie drohen, verletzen, einsperren, töten.
„Die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht.“ (Mk 10, 42f.)
Als Christinnen und Christen feiern wir in der Karwoche den leidenden, sterbenden Christus als wahren Herrn der Geschichte. Das widerspricht völlig der Logik unserer Welt, ist für viele unsinnig. Doch ich merke, wie mir dieser Gedanke immer wichtiger wird: der Herr über Raum und Zeit, hingerichtet nach den Regeln unserer Welt.
Die Evangelien erzählen Jesu Leiden genau als Geschichte eines solchen Herrschaftswechsels wider allen Augenschein.
Auf einem Esel zieht er als Friedensfürst in Jerusalem ein. In der „Nacht, da er verraten ward“, stiftet er Versöhnung, eine neue Gemeinschaft, die allen Spielregeln der Macht widerspricht. An einem Tisch ohne oben und unten gibt er sich hin und isst mit allen, die ihn verleugnen, ausliefern, verlassen werden.
Die römischen Soldaten treiben dann ihren Spott mit ihm. Purpurmantel, Dornenkrone, Schläge auf den Kopf: „Gegrüßet seist Du, König der Juden!“ Vor der ganzen versammelten Kohorte. Sie nageln es über ihn ans Kreuz: „Jesus von Nazareth, König der Juden.“ Zur Sicherheit auf Hebräisch, Griechisch, Latein. Und doch vollziehen sie so genau, was sie verspotten.
Dieser „Friedensfürst“ ist eine Majestätsbeleidigung (ein „crimen laesae majestatis“). Gegen den römischen Kaiser – wie gegen alle Tyrannen, die noch kommen sollten. Weil er ihre Machtbasis zerstört: die Gewalt, Freiheit zu rauben, Angst zu verbreiten, Leben zu vernichten. Oder kurz: den Tod.
Das feiern wir an Karfreitag und Ostern: In Christi Tod zerbricht die Macht des Todes. Gott gibt ihm, der Feinde liebte und Grenzen überwand, alle Macht im Himmel und auf Erden.
In der kleinen, reformierten Bergkirche Fex Castra in den Schweizer Alpen ist dies in einem Fresko eindrücklich dargestellt. Da ist Christus zu sehen, leidend am Kreuz. Und über ihm noch einmal derselbe Christus als Weltenherrscher, der den Leidenden trägt, ihn sanft in seinen Händen hält, mit seinem roten Mantel umgibt.
Vor ihm werden wir uns einmal alle verantworten müssen. Wie wir umgegangen sind mit den Hungrigen, Kranken, Einsamen, Nackten, Gefangenen unserer Tage – denen, die wie Christus unter die Räder gekommen sind.
Auch die Unterdrücker dieser Welt werden vor ihm stehen. Sie werden mit der Herrschaft von Gewalt und Tod nicht durchkommen. Nicht in Butscha, nicht in Idlib, nicht in Teheran oder Sanaa. So wird die Geschichte nicht enden. Da ist Christus vor. Gott sei Dank!
das könnte manchen herren so passen
wenn mit dem tode alles beglichen
die herrschaft der herren
die knechtschaft der knechte
bestätigt wäre für immer
[…]
aber es kommt eine auferstehung
die anders ganz anders wird als wir dachten
es kommt eine auferstehung die ist
der aufstand gottes gegen die herren
und gegen den herrn aller herren: den tod
(Kurt Marti, Das könnte manchen Herren so passen, in: ders., Leichenreden, Luchterhand, Neuwied/Berlin 1969 S. 63)