Seit 30 Jahren ist das Heilpädagogische Zentrum Pskow in Russland ein herausragendes Beispiel erfolgreicher Partnerschaft. Im Zusammenhang mit der Versöhnungsreise rheinischer Christinnen und Christen 1991 entstand der Plan, in der westrussischen Stadt eine Einrichtung zur Förderung und Betreuung von Kindern mit schweren und mehrfachen Beeinträchtigungen zu schaffen. Im September 1993 begann die Förderschule ihre Arbeit mit sieben Lehrkräften und 40 Kindern. In der Zwischenzeit hatte die Evangelische Kirchengemeinde Wassenberg das Gebäude errichtet und das Lehrerteam war in der Rurtal-Schule Oberbruch pädagogisch vorbereitet worden. Heute, am 22. September 2023, wird in Pskow das 30-jährige Bestehen der Einrichtung gefeiert – mit rund 300 Gästen und deutscher Videobeteiligung.
Mittlerweile gilt das Heilpädagogische Zentrum als Referenzeinrichtung für ganz Russland und Garant für eine Neuorientierung der Behindertenhilfe. In einem Frühförderzentrum, drei Kindergärten, drei Schulen, einer Werkstatt für behinderte Menschen und vielen betreuten Wohngruppen in der Stadt sind mittlerweile 500 Mitarbeitende tätig, die rund 700 Menschen fördern und betreuen.
Alle Seiten bemühen sich um die Weiterführung des Projekts
Trotz des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine sind alle Beteiligten auf deutscher und russischer Seite bemüht, das Projekt weiterzuführen. Während mittlerweile viele Städtepartnerschaften und Partnerschaftsprojekte von Nichtregierungsorganisationen ihre Arbeit eingestellt haben, sind die Initiative Pskow und ihre Partner auf russischer Seite überzeugt, dass die 30 Jahre währende vertrauensvolle Zusammenarbeit fortgesetzt werden kann und muss. Zur Jubiläumsfeier in Pskow werden Oberkirchenrat i. R. Klaus Eberl als Gründer der Einrichtung, Dr. Hans-Georg Hörster für die Wassenberger Kirchengemeinde und Bernd Schleberger als pädagogischer Partner per Videoliveschaltung eingebunden. Dabei werden auch Auszüge der am 17. September in der Kreuzkirche in Wassenberg aufgezeichneten Predigt von Klaus Eberl mit russischer Übersetzung eingeblendet.
DREI FRAGEN AN Gründer Klaus Eberl zum Jubiläum in Pskow
Herr Eberl, vor einem Jahr sind Sie noch trotz des russischen Angriffskriegs in der Ukraine nach Pskow gereist. Warum haben Sie diesmal auf die Teilnahme an der Jubiläumsfeier verzichtet?
Klaus Eberl: Es gab Probleme mit dem Visum. Meine Familie war ohnehin nicht davon begeistert, dass ich fahren wollte. Und vor drei Wochen gab es noch einen Drohnenangriff auf den Flughafen von Pskow. Das war dann der letzte Anlass zu sagen: Es ist im Moment nicht meine vordringliche Aufgabe, dort zu sein, sondern dafür zu sorgen, dass diese segensreiche Arbeit weitergehen kann. Dafür brauche ich nicht vor Ort zu sein.
Die Kirchengemeinde Wassenberg ist die Keimzelle des Projekts. Welche Rolle spielte und spielt die Evangelische Kirche im Rheinland?
Eberl: Wir sind mit Pskow immer auf der Auswahlliste des landeskirchlichen Kollektenplans vertreten, sonst könnten wir das Projekt finanziell nicht stemmen. Und der ursprüngliche Anstoß war 1991 der Versöhnungsbeschluss der Landessynode 50 Jahre nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Danach ist eine große Delegation nach Pskow gereist. Auf dieser Reise wurde die Idee für das Heilpädagogische Zentrum geboren. Der Unterstützerkreis geht heute natürlich sehr weit über die Wassenberger Grenzen hinaus. Wir haben Menschen aus der gesamten Landeskirche, im Grunde aus ganz Deutschland, die diese Arbeit aus ganz unterschiedlichen Gründen wichtig finden. Einige finden den Bezug über das Inklusionsthema, andere setzen sich über die Versöhnungsfrage damit auseinander. Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine wird das, was in der deutschen Geschichte passiert ist, ja nicht auf einmal irrelevant. Pskow ist ein ausgesprochen erfolgreiches Projekt und wir wollen daran arbeiten, dass das so bleibt, auch unter dem Aspekt, den ich immer wieder in Gesprächen mit dem deutschen Außenministerium höre: Es könnten ja Zeiten kommen, in denen wir händeringend nach solchen noch funktionierenden Brücken suchen. Ohne solche Anknüpfungspunkte ist es kaum möglich, eine neue Friedensordnung zu entwickeln.
„Manches ist komplizierter geworden“, sagen Sie in Ihrer Predigt, die auszugsweise bei der Jubiläumsfeier eingespielt wird. Bröckelt die Unterstützung?
Eberl: In Russland gar nicht. Bisher sind alle Vereinbarungen eingehalten worden. Wir brauchen für die Arbeit dort etwa vier Millionen Euro vom russischen Staat und das Geld ist da. Auf deutscher Seite gibt es natürlich hin und wieder Menschen, die sagen: Wie könnt ihr jetzt noch ein Projekt in Russland verfolgen? Ich kann verstehen, dass Leute so denken, aber die Situation behinderter Menschen in Pskow und im ganzen Land wird durch diesen Krieg nicht besser, sondern eher schlechter. Wir haben mit der Partnerschaft das Versprechen abgegeben, diese Arbeit zur Versöhnung von Russen und Deutschen zu machen. Das wird auch von vielen Menschen in Pskow so wahrgenommen. Über die KD-Bank haben wir einen ganz legalen Weg gefunden, weiter Gelder an das Heilpädagogische Zentrum zu überweisen. Derzeit bauen wir dort einen Bereich für schwerstmehrfachbehinderte Erwachsene, die nicht in der Werkstatt arbeiten können. Dafür haben wir gerade noch einmal 80.000 Euro überwiesen. Und weil es Probleme mit den Visa gibt, planen wir unsere Fortbildungen im Moment in Antalya. Russen brauchen für die Türkei kein Visum und wir auch nicht. Man muss für verrückte Situationen manchmal auch verrückte Lösungen finden.