Düsseldorf. Mit 1701 rückgeführten Personen wurden im Jahr 2022 weniger Menschen über die Flughäfen in Nordrhein-Westfalen abgeschoben als 2021 (2361 Personen). Grund dafür sind vor allem weniger Sammelcharterflüge, die aus der Landeshauptstadt starteten. Dennoch bleibt der Flughafen Düsseldorf einer derjenigen, über den bundesweit die meisten Abschiebungen erfolgen. Darüber wie über die Begleitumstände der Abschiebungen gibt der 31-seitige, mit Beispielfällen und Grafiken versehene Bericht der unabhängigen Abschiebungsbeobachtung Auskunft. Sein Schwerpunktthema im Berichtsjahr 2022: Fragen des Kindeswohls in Abschiebungssituationen. Der komplette Jahresbericht 2022 steht ab sofort zum Download zur Verfügung und wird im Folgenden von Vertreterinnen und Vertretern des Forums Flughäfen in Nordrhein-Westfalen (FFiNW) kommentiert.
Abschiebungsbeobachtung: Kinder und Jugendliche brauchen Schutz
„Im Jahr 2022 wurden insgesamt 2196 begleitete Minderjährige aus Deutschland abgeschoben. Von den Flughäfen in NRW wurden davon 396 Minderjährige abgeschoben, 335 waren jünger als 14 Jahre. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention ist bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, ,gleichwohl ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen‘.
Schwerpunktmäßig wurden 2022 im Forum Flughäfen in NRW Beobachtungen im Zusammenhang mit der (Nicht-)Einhaltung des Kindeswohls diskutiert. Diese wurden unter anderem in Bezug auf Familientrennung, das Miterleben gewaltvoller Szenen oder Umsetzung von Zwangsmaßnahmen, die Abholung zu Nachtzeiten und den Einsatz von Minderjährigen in die Sprachmittlung an das Forum herangetragen.
Aus Sicht der Abschiebungsbeobachtung wurde 2022 der Schutz des Kindeswohls nicht vollumfänglich berücksichtigt und somit wurden potenziell Kinderrechte verletzt. Im Vorjahr wurde durch die Abschiebungsbeobachtung und weitere Stellen, wie zum Beispiel die nationale Stelle zur Verhütung von Folter, Ähnliches berichtet. Dies hat unter anderem dafür gesorgt, dass der Schutz des Kindeswohls als Schwerpunktthema für 2022 diente.
Aus Sicht der Abschiebungsbeobachtung NRW ist es deswegen wichtig, Maßnahmen zu implementieren, um das Kindeswohl bei Abschiebungen sicherzustellen. Hier hat die Abschiebungsbeobachtung unter anderem auf den Einbezug einer neutralen Person (zum Beispiel des Jugendamtes) während der Abschiebung hingewiesen.“
Abschiebungsbeobachterin Judith Fisch, Geschäftsfeld Flucht, Migration und Integration des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe, Telefon 0211 6398-411 oder j.fisch@diakonie-rwl.de
Abschiebungsbeobachter Mert Sayim, Geschäftsfeld Flucht, Migration und Integration des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe, Telefon 0211 6398-418 oder m.sayim@diakonie-rwl.de
Einen Bericht über die Abschiebungsbeobachtung finden Interessierte auch auf der Website des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe. Dort stehen zudem Fotos zum Download zur Verfügung.
Moderator des FFiNW: Kindeswohl gehört ins Grundgesetz
„Als vor 22 Jahren das Forum Flughäfen in NRW gegründet wurde, gab es noch keine EU-Rückführungsrichtlinie und kein Abschiebungsmonitoring in Europa. Eine unabhängige Abschiebungsbeobachtung und die sie begleitende Arbeit eines Forums, in dem staatliche Beteiligte an Abschiebungen und Kirchen/NGOs auf der Basis verbindlicher Regeln in einem Forum zusammenarbeiten, war echte Pionierarbeit. Viel ist seitdem erreicht worden, Verbesserungen werden diskutiert, manches ist in Bewegung.
Das Schwerpunktthema des diesjährigen Berichtes zeigt: Die Beachtung des Kindeswohls im Abschiebungsprozess muss verbessert werden. Es ist ein dynamischer Prozess, was konkret unter der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls zu verstehen ist. Dies bewerten die Mitglieder des Forums unterschiedlich. Aus unserer Sicht bedarf es der Aufnahme des Kindeswohls ins Grundgesetz, wie es im Koalitionsvertrag der Ampelregierung vereinbart ist. Nur so kann eine tatsächliche Vorrangigkeit des Kindeswohls verwirklicht werden.
Vergleicht man das Abschiebungsmonitoring in NRW, das einmal innovativ gewesen und von der Europäischen Kommission als vorbildlich beschrieben worden ist (,Düsseldorfer Modell‘), heute mit Monitoringprojekten in anderen europäischen Ländern, so sieht man: Die Abschiebungsbeobachtung in Deutschland hinkt hinsichtlich der Verfahren und Standards weit hinterher. Aus Sicht der evangelischen Kirche stellt sie kein wirksames Monitoring im Sinne der EU-Rückführungsrichtlinie dar.
Die Abschiebungsbeobachtung auf freiwilliger Basis ohne rechtliche Grundlage stößt zusehends an Grenzen. Auch zunehmende Datenschutzbestimmungen erschweren eine sinnvolle Arbeit ohne gesetzliche Grundlage. Es ist notwendig, ein Monitoringsystem entsprechend der EU-Rückführungsrichtlinie endlich auch in Deutschland zu implementieren.“
Kirchenrat Pfarrer Rafael Nikodemus, Moderator des FFiNW, Evangelische Kirche im Rheinland, Telefon 0211 4562-218 oder rafael.nikodemus@ekir.de
Flüchtlingsministerium: Kindeswohlinteressen noch stärker Rechnung tragen
„Stellvertretend für das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen möchte ich den nordrhein-westfälischen Abschiebungsbeobachter*innen meinen Dank für ihre geleistete Arbeit sowie ihr Engagement im Rahmen der Erstellung des entsprechenden Jahresberichts aussprechen.
Dies muss insbesondere im Bewusstsein dafür gelten, dass Rückführungen für alle am Prozess Beteiligten herausfordernd sind. Es ist der Landesregierung daher ein wichtiges Anliegen, diese rechtstaatlich, fair und humanitär zu gestalten. Dazu gehört, die Standards im Rückführungsbereich kontinuierlich zu optimieren – gerade mit Blick auf die Wahrung des Kindeswohls. Daher sind wir sehr dankbar für das Schwerpunktthema des Jahresberichtes 2022 und die im Bericht enthaltenen wertvollen Beobachtungen/Hinweise.
Der Schutz der Kinder genießt in Nordrhein-Westfalen Priorität und hat nicht zuletzt deshalb auch Eingang in den hiesigen Koalitionsvertrag gefunden. Die Landesregierung prüft derzeit verschiedene Ansätze, Kindeswohlinteressen im Rückführungskontext noch stärker Rechnung zu tragen. Dies ist nicht zuletzt auch das Ergebnis eines konstruktiven Dialogs mit allen und im Sinne aller am Rückführungsprozess Beteiligten.
Ich bin zuversichtlich, dass wir im Wege der vertrauensvollen Zusammenarbeit den gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen weiterhin gemeinsam begegnen können, und freue mich auf die Fortsetzung des Dialogs.“
Dr. Manuel Kamp, stellvertretender Leiter der Abteilung 5 „Flucht“ und Leiter der Gruppe 52 „Rückkehrmanagement“ des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Kontakt über die Pressestelle des Ministeriums, Telefon 0211 837-2503 oder presse@mkjfgfi.nrw.de
Bundespolizei befürwortet Transparenz und Neutralität bei Rückführungen
„Am Rückführungsprozess sind verschiedene Behörden und Institutionen maßgeblich beteiligt. Die Bundespolizei ist bei dem Prozess der Rückführung für den Vollzug der Ausreisepflicht ab der Zuführung am Flughafen zuständig. Unser Auftrag ist es, die Rückzuführenden sicher in ihre Heimatländer zurückzubringen. Für die Rückführungsmaßnahmen setzen wir speziell ausgebildetes Personal ein, sogenannte Personenbegleiter*innen Luft. Denn die Rückführung von Menschen ist keine alltägliche Aufgabe. Sie erfordert ein hohes Maß an Professionalität. Für die Bundespolizei haben neben der Sicherheit für alle Beteiligten die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit sowie die Wahrung der Menschenwürde und die Beachtung humanitärer Standards bei den Rückführungsmaßnahmen höchste Priorität.
Der diesjährige Jahresbericht der Abschiebungsbeobachtung befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Kindeswohl bei Rückführungen. Die Bundespolizei hat in diesem Jahr einen separaten Bereich für Familien am Flughafen Düsseldorf eingerichtet, in dem Familien und Kinder während der Rückführungsmaßnahme getrennt von anderen Rückzuführenden untergebracht werden können. Dieser Raum bietet Familien und Kindern einen gesonderten Schutzbereich. Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, dass der Familienbereich regelmäßig genutzt wird, sich beruhigend auf rückzuführende Familien auswirkt und den Prozess der Rückführung bei Familien positiv beeinflusst.
Die Bundespolizei begrüßt die seit vielen Jahren durch das Forum Flughäfen in NRW durchgeführte neutrale Beobachtung der Rückführungen und betont die Wichtigkeit einer solchen unabhängigen Betrachtung für größtmögliche Transparenz und erforderliche Weiterentwicklungen.“
EPHK Jens Flören, Pressestelle der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin, Telefon 02241 238-1444 oder presse.nrw@polizei.bund.de
Stichwort 1: Forum Flughäfen in NRW
Das Forum Flughäfen in NRW (FFiNW), gegründet im Jahr 2000, ist ein Gremium aus Vertreterinnen und Vertretern von staatlichen Behörden, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen, die im Austausch über den Vollzug von Flugabschiebungen stehen. Es will durch die Bündelung von Informationen und Kompetenzen zu mehr Transparenz beitragen.
Stichwort 2: Abschiebungsbeobachtung
Im Jahr 2001 wurde eine Abschiebungsbeobachtung an den Flughäfen in NRW, vorrangig für den Flughafen Düsseldorf, eingerichtet, wobei das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe Träger der Stellen ist. Ziel der Abschiebungsbeobachtung ist es, den Vollzug von Rückführungsmaßnahmen am Airport in den Blick zu nehmen, zu dokumentieren und gegebenenfalls Missstände aufzudecken. Die Wahrung humanitärer Standards und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist dabei übergeordnetes Prinzip.